Skorpion reitet Bulle
Ruth Horak
Kleine Tierfiguren, Fotos, Postkarten, Farbkarten, Spielbretter, Spielkarten, Farbkarten, Farbfilter, und Schaumstoffe, Buchstaben und Zeitschriftenbilder, aber auch Weintrauben und Rhabarber und immer wieder die elfenbeinfarbige Platte, auf welcher die temporären Arrangements zueinander finden, liegen auf den Fußböden von diversen Ateliers, die der gebürtige Deutsche Frank Robert (*1967) seit 2005 in Wien benützt. Die Fotografie vereinheitlicht die vielen unterschiedlichen Bestandteile und speichert sie auf einem gemeinsamen Format.
Eine zentrale Rolle kommt den verwendeten Bildern aus Zeitschriften und Büchern zu: Einzelne Bilder, die den Blick auf sich ziehen oder mehrere, die aneinander gelegt sind, um ihrer Üppigkeit Vorschub zu leisten, welche, die nur unter anderen Bildern hervorschauen, oder solche, die als Bild beginnen und als Gegenstand enden, wie ein Schimpanse, dessen Rücken in einen Kaktus ausläuft. Um sie herum sind Alltags-, Erinnerungs- und Gebrauchsgegenstände gruppiert mit Referenzen auf die Fotografie, aufs Vermessen oder Spielen, und ergeben smarte Kombinationen, wie z.B. einen Skorpion, der einen Bullen reitet, den er an Körpergröße beinahe übertrifft. Ordnungskriterien sind farbliche Entsprechungen, thematische Linien oder Formanalogien wie die Ähnlichkeit von Letraset-Punkt und Beere oder Zollstab und Agar Agar. Organisches, gedrucktes, farbiges, verfärbtes, aufgehobenes und wiedergefundenes liegen beieinander.
Der Versuch, das Zueinander der Gegenstände zu dechiffrieren, beginnt bei den Bildern. Sie evozieren Bedeutungen, legen formale und inhaltliche Verbindungskanäle zu den benachbarten Elementen, wo sie aber wieder versiegen. Der Betrachter läuft ins Leere bzw. wird immer wieder von den einzelnen Gegenständen und Abbildern zurückgerufen und aufgefordert, sich mit ihnen visuell zu beschäftigen.
Bei aller Klarheit der einzelnen Elemente, werden gemeinsame Themen zerstreut und bieten eine offene Interpretationsfläche. Das Uneindeutige bleibt vorherrschend und regt die Interpretationslust an.
Die Serie, die bis heute auf über 50 Teile angewachsen ist, kann als Summe der einzelnen Bildteile gelesen werden, als Komposition, deren „Farben“ Gegenstände sind. Diese „Bilder“ sind absichtsvoll neben- und aufeinander gelegt, und existieren nur solange der Aufnahmeprozess dauert. Erst durch die Fotografie wird das „Still- Life“ fixiert. Nach der Aufnahme wird das Bild wieder „abgebaut“, das Arrangement verschwindet, zurück bleibt nur das Foto.
Die so entstandenen Bilder tragen aber auch den Eindruck von zufällig-liegen-gelassen-worden in sich, wie wir es von (Arbeits)tischen kennen, deren Oberflächen sich je nach aktuellem Interesse oder Thema, je nach Vorliebe oder Ordnungssinn permanent ändern(1). Benutztes liegt neben Unbenutztem, Exotisches neben Bekanntem, Lebloses neben Lebendigem, Teile der eigenen Biografie neben Teilen einer fremden Biografie, die aber aus derselben Zeit stammen und von einer ähnlichen Kindheit berichten könnte. Verschiedene Realitätsebenen treffen aufeinander, verschiedene Maßstäbe und Perspektiven. Manchen Teilen wird eine größere Präsenz zugestanden. Sie reagieren aufeinander wie ein Wort auf das andere, aber eine zusammenhängende Satzführung ist nicht das Ziel.
Die Still- Lifes dienen als plurale Träger von Stimmungen und Atmosphären – eine enge Vase, die dem blühenden Tulpenstrauß nicht gerecht wird, legt den Vergleich mit dem Korsett nahe, aus dem es sich zu befreien gilt. Spielbrett und Kartenspiel, deutet Frank Robert an, fragen danach, welche Spielzüge denn ein Leben bestimmen bzw. auf welche Karte man setzen soll. „Sympathie(2)“ von 1981 ist eines von mehreren Spielen, die auf den Fotografien vorkommen. Es versprüht einerseits den Charme der frühen 1980er Jahre, lässt sich aber vor allem im Sinne des kindlichen Wunsches, verstanden zu werden, lesen, geht es in diesem Spiel doch darum, seine Mitspieler besser kennen und verstehen zu lernen.
Die Geschichten hinter den ausgewählten Dingen, ihre ursprüngliche Bestimmung, ihr Ablaufdatum und ihre Kompetenz, Gemütszustände wie Sehnsucht oder Geborgenheit (Nest) zu wecken, oder Wandlungsprozesse (Ei, Puppe), Rollenmuster (fütternde Vogelmutter), Versorgung (Kochrezepte) etc. zu evozieren, verleihen den Arrangements eine Ebene, die von den Erinnerungen und Eindrücken des Autors getragen wird. Und wie die unzähligen Ereignisse in einem Leben, sind auch die Dinge in den Still-Lifes lose miteinander verbunden. Es sind viele nur scheinbar zusammenhanglose Details, die – wie Erinnerungen – jedoch gemeinsam ein Ganzes bilden.
Im Walde der Symbole, die keine sind,
schweigen die Vöglein der Deutung, die keine ist, nie.
Samuel Beckett, 1937
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1) Vergl. etwa Ian Wallace Arbeit „In the Studio“
2) In der Bedienungsanleitung ist das Spiel wie folgt beschrieben: „Das Kernstück des Spiels sind die 120 ausgesuchten Fotos zu 6 Themen, die jeden gefühlsmäßig ansprechen: „Landschaft", „Wohnen", „Tier", „Freizeit", „Gesichter", „Situationen". Aus einem Themenbereich werden 5 Fotos ausgelegt. Ein Spieler kennzeichnet, ohne daß es die anderen sehen, seine Sympathie-Rangfolge der Fotos […].Die Mitspieler versuchen, die Fotos mit seinen Augen zu sehen und diese Rangfolge auch möglichst genau zu treffen. Beim anschließenden Vergleich gibt es für jede Übereinstimmung Sympathie-Punkte.“